Weltweit ist derzeit eine Vielzahl pharmazeutischer Unternehmen auf der Suche nach wirksamen Medikamenten und Impfstoffen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Angesichts der Eilbedürftigkeit wird hierbei vor allem auf bereits bekannte Wirkstoffe bzw. Zusammensetzungen zurückgegriffen, welche sich in der Vergangenheit bei der Behandlung von Viruserkrankungen oder als Immunmodulatoren bewährt haben. Im Vordergrund stehen insbesondere antivirale Medikamente für die Behandlung von HIV, Ebola sowie SARS oder MERS, welche – einzelnen Berichten zufolge – bereits erfolgreich gegen COVID-19 eingesetzt werden konnten. Eine (nicht abschließende) Übersicht über die derzeit laufenden Forschungsprojekte im Kampf gegen COVID-19 kann der Webseite der forschenden Pharma-Unternehmen entnommen werden (https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/therapeutic-medicines-coronavirus-covid-19).
Ein sehr hoher Anteil der aktuellen Forschungsprojekte beschäftigt sich somit mit Wirkstoffen bzw. (Wirkstoff-)Zusammensetzungen, welche bereits Gegenstand von technischen Schutzrechten wie insbesondere Patenten sind. Dabei wird sich der Patentschutz nicht nur auf das Erzeugnis selbst beschränken, sondern oftmals auch das konkrete Herstellungsverfahren, zentrale Arbeitsschritte oder das benötigte Laborequipment erfassen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das in § 11 Nr. 2 sowie Nr. 2 b des deutschen Patentgesetztes (PatG) normierte Versuchs- und Zulassungsprivileg einen wirksamen Schutz vor der ansonsten drohenden Inanspruchnahme durch den Patentinhaber bietet.
Gemäß §11 Nr. 2 PatG erstreckt sich die Wirkung des Patents nicht auf Handlungen zu Versuchszwecken, die sich auf den Gegenstand der patentierten Erfindung beziehen. Dabei ist der erforderliche Bezug zum Gegenstand der patentierten Erfindung gegeben, wenn die technische Lehre des Patentanspruches das Objekt der Versuchshandlung darstellt. Hiervon können sowohl Benutzungshandlungen zu Versuchszwecken erfasst sein, die mit dem Gegenstand der Erfindung vorgenommen werden, um bspw. die Wirkungen eines Stoffes zu erkunden, als auch solche, um neue, bisher unbekannte Anwendungsmöglichkeiten aufzufinden.
Darüber hinaus sind gem. § 11 Nr. 2b) PatG auch solche Studien und Versuche sowie die sich daraus ergebenden praktischen Anforderungen privilegiert, die für die Erlangung einer arzneimittelrechtlichen Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Europäischen Union oder einer arzneimittelrechtlichen Zulassung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder in Drittstaaten erforderlich sind (sog. Roche-Bolar-Regel). Diese Privilegierung geht über das Versuchsprivileg hinaus, als die Versuche nicht die patentierte Erfindung selbst zum Gegenstand haben müssen. Privilegiert sind vielmehr alle Handlungen, die objektiv notwendig sind, um eine erstrebte arzneimittelrechtliche Genehmigung oder Zulassung zu erlangen. Zu beachten ist jedoch, dass die Versuche für die Erlangung der Zulassung erforderlich sein müssen.
Es ist davon auszugehen, dass viele der derzeit laufenden Forschungsprojekte in den Genuss des Versuchs- bzw. des Zulassungsprivilegs kommen. Entscheidend ist dabei allerdings stets der konkrete Einzelfall unter Berücksichtigung des Patentes und der vorgenommenen Handlung. Um eine Inanspruchnahme durch den Patentinhaber zu vermeiden, sollten die Grenzen der Privilegierung deshalb vorab geprüft und Handlungsanweisungen an die Mitarbeiter ausgegeben werden. Zu bedenken ist hierbei insbesondere, dass die Privilegierung de lege lata nur das unmittelbar forschende Unternehmen als (künftigen) Antragssteller in dem arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren selbst privilegiert. Ein Lieferant von Wirkstoffen kann sich nach derzeit geltender Rechtslage im Regelfall wohl nicht erfolgreich auf den Privilegierungstatbestand berufen. Dies gilt jedenfalls solange die Bundesregierung nicht von ihrer Anordnungskompetenz gem. § 13 PatG Gebrauch macht (Beschränkung der Wirkung des Patents für die öffentliche Wohlfahrt und Staatssicherheit).