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Parallelimport von Arzneimitteln: EuGH stärkt Rechte der Markeninhaber

Am 17.11.2022 befasste sich der EuGH in den Rechtssachen C-253/20 und C-254/20 [1] mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Parallelimporteur ein mit dem Referenzarzneimittel in jeder Hinsicht identisches Generikum unter der Marke des Referenzarzneimittels importieren und vertreiben darf.  Anders formuliert: Kann ein Parallelimporteur ein in jeder Hinsicht identisches, aber gegenüber dem Referenzarzneimittel zu einem günstigeren Preis angebotenes Generikum kaufen, um es dann, nach entsprechendem Umpacken, als das teurere „Originalprodukt“ zu verkaufen?

Hierzu entschied der EuGH: Ein Umpacken eines Arzneimittels (z.B. durch Austausch der äußeren Verpackung (sog. Reboxing) oder Neuetikettierung (sog. Relabelling)) in ein anderes ist nur zulässig, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen vorliegen:

1. die beiden Arzneimittel sind in jeder Hinsicht identisch (Bioidentität ist nicht ausreichend) und

2. das Umpacken erfüllt die sog. BMS-Kriterien [2], insbesondere das der objektiven Erforderlichkeit.

Das Erfordernis der Identität „in jeglicher Hinsicht“ liegt laut dem EuGH insbesondere darin begründet, dass Referenzarzneimittel und Generika vom Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen als gleichwertig erachtet werden, obwohl diese tatsächlich geringfügige Abweichungen aufweisen können. Da dies zu einer Irreführung von Gesundheitspersonal und Patienten führen könne, sei ein Umpacken nur zulässig, wenn beide Arzneien in jeglicher Hinsicht identisch miteinander sind.

Eine solche Identität liege dabei insbesondere dann vor, wenn Generikum und Original – wie in dem gegenständlichen Fall – vom selben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen hergestellt werden und es sich in Wirklichkeit um dasselbe Produkt handelt, welches lediglich unterschiedlich vermarktet wird.

Hinsichtlich des zweiten Erfordernisses betont der EuGH, dass objektive Erforderlichkeit für ein Umpacken nur dann gegeben sei, wenn für das Arzneimittel ohne Umpacken ein Einfuhrhindernis aufgrund tatsächlich gegebener Umstände bestehe, dessen Vorliegen der Parallelimporteur beweisen muss. Kein Einfuhrhindernis für das Generikum liege vor, wenn ein Referenzprodukt im Einfuhrmitgliedstaat bereits zugelassen ist, da die Zulassung des Generikums dann nur noch aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder des Schutzes des Lebens von Menschen versagt werden dürfe.

Ist der Verkauf des Generikums (als Generikum) im entsprechenden Mitgliedsstaat also rechtlich möglich, d.h. besteht kein Markthindernis, darf nicht der Name des Referenzarzneimittels/Originalproduktes aufgedruckt werden, selbst wenn Generikum und Original völlig identisch miteinander sind.

Im Ergebnis erteilt der EuGH dem Umpacken eines Generikums in eine höherpreisige Markenkategorie eine Absage, wenn es lediglich dazu dient, dem Parallelimporteur durch Ausnutzung des Rufes der Originalmarke wirtschaftliche Vorteile zu bringen und räumt insoweit dem Markenschutz die Priorität gegenüber den Rechten der Parallelimporteure ein. Parallelimporteuren verbleibt jedoch weiterhin die Möglichkeit, Generika entweder unter deren Marke oder einer Eigenmarke zu vertreiben.


[1] EuGH, Urt. v. 17.11.2022 – Az. C-253/20 und C-254/20 – GRUR-RS 2022, 31815.

[2] Ein Umpacken stellt grds. einen Eingriff in die ausschließlichen Rechte des Markeninhabers dar. In der Rechtssache Bristol-Myers Squibb – EuGH Urt. v. 11.07.1996 – Az. C-427/93, C-429/93 und C-436 – stellte der EuGH fünf Kriterien auf, bei deren Vorliegen ein Umpacken jedoch zulässig ist.

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Autoren

Dr. Marco Stief

Partner

Rechtsanwalt

LL.M. University of Chicago